Das menschliche Geltungsbedürfnis
Wenn ihr zusammen mit Christus den Vorschriften und Regeln dieser Welt abgestorben seid, weshalb tut ihr dann so, als würdet ihr noch unter ihrer Herrschaft leben? Ihr lasst euch vorschreiben: „Damit darfst du nichts zu tun haben! Davon darfst du nicht essen! Und das darfst du nicht einmal berühren!“ Solche Regeln sind nichts als menschliche Vorschriften für Dinge, die doch nur dazu da sind, um von uns benutzt und verbraucht zu werden. Es sieht zwar so aus, als ob solche eigenwilligen Gottesdienste, Demutsübungen und Misshandlungen des Körpers Zeichen besonderer Weisheit seien. Aber in Wirklichkeit haben sie keinen Wert, sondern befriedigen nur das menschliche Geltungsbedürfnis.
Kolosser 2,20-23
Diese Stelle im Kolosserbrief ist eine deutliche Absage an den Legalismus, eine religiöse Praxis, die auf der strikten Einhaltung von Regeln und Gesetzen basiert. Der asketische Mensch zügelt dabei keineswegs seine fleischlichen Bedürfnisse, sondern wertet sein Tun durch geistlichen Stolz auf. Dies erscheint auf den ersten Blick von Weisheit getragen zu sein, dient in Wirklichkeit aber nur seiner Eitelkeit. Es ist ein selbst gewählter Gottesdienst, der Versuch des Menschen, vor Gott gerecht zu werden, indem er eine Liste von Regeln einhält. In Wahrheit ist es reine Selbstrechtfertigung, wenn man so einiges veranstaltet, um sich vor anderen gerecht darzustellen. Man kann noch so sehr versuchen, seine Sünden kleinzureden und sich in seiner moralischen Überlegenheit zu sonnen; vor dem Herrn wird dies keinen Bestand haben. Dieses Theater, das man auch vor sich selbst spielt, will Unabhängigkeit und führt letztlich zur Trennung von Gott. Dabei kommt es allein auf seine Gnade und den Glauben an Jesus Christus, unseren Erlöser, an.
So einleuchtend diese Mahnung im Kolosserbrief auch ist, so dürfen wir nicht übersehen, dass wir alle anfällig für unser Geltungsbedürfnis sind. Das habe ich gestern wieder gesehen, als ein von mir geschätzter Prediger plötzlich ein Online-Interview unterbrach, weil er offensichtlich mit der ungünstigen Beleuchtung unzufrieden war. Man sieht: Auch treue Diener des christlichen Wortes sind anfällig für persönliche Eitelkeiten. Aber auch ich, der ich dies hier schreibe, möchte in einem positiven Licht dastehen, indem ich gefällige Formulierungen wähle und Erkenntnisse auf eine Weise darstelle, die Bewunderung hervorrufen soll, auch wenn mir das nicht immer bewusst ist. Jeder Dienst für Gott ist angefochten, und sei es allein durch das menschliche Geltungsbedürfnis. Möge mir der Herr immer zeigen, wenn ich gerade dabei bin, einem solchen Drang nachzugeben.