Andacht Heute

Vom Algorithmus zur Demut

„Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der HERR allein lenkt seinen Schritt.“
Sprüche 16,9

Einer der wohl am häufigsten zitierten Verse der Bibel lautet: „Der Mensch denkt, Gott lenkt.“ Heute leben wir in einer digitalen Welt. Wir glauben, dass wir alles unter Kontrolle haben. Algorithmen helfen uns heute im Alltag. Gestern habe ich der Künstlichen Intelligenz (KI) die Frage gestellt, was man vor einer Operation am Grauen Star alles bedenken muss, da meine Frau heute zu einer Voruntersuchung und einem Vorgespräch in die Augenpraxis muss. Innerhalb von Sekunden kam die gut strukturierte Antwort: Ablauf der OP, Vorbereitung, Risiken und Komplikationen, Nachsorge und Heilungsverlauf sowie die unterschiedlichen Linsentypen mit deren Vor- und Nachteilen. Während man sich früher mühsam durch Medizinbücher und Fachartikel arbeiten musste, um Informationen zu sammeln, geht es heute ganz schnell und ohne Mühe. Noch vor dem Gespräch mit dem Arzt meint man, alles über das Bevorstehende zu wissen. Man neigt schon fast dazu, sich zu fragen: „Was will der einem noch erzählen? Ich weiß doch schon alles.“ Die KI versetzt medizinische Laien allzu leicht in einen Zustand der Überheblichkeit, gegen den das gesamte Fachwissen eines Arztes schwer anzukommen scheint.

Um nicht ganz in selbstverliebte Arroganz abzudriften, sollten wir einen ebenfalls sehr bekannten Vers betrachten, der noch folgt: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ (Sprüche 16,18) Vielleicht ist die eigentliche Gefahr weniger die KI selbst als vielmehr unsere Haltung ihr gegenüber. Wenn wir uns mit ihrer Hilfe für allwissend halten, verlieren wir das Gespür für Demut, für das Staunen und für die Führung Gottes. Technologie kann eine wertvolle Hilfe sein, sie darf uns aber nicht zur Selbstüberhöhung verleiten. Ein möglicher Wahlspruch für unser Tun könnte deshalb lauten: „Plane mit Vernunft, vertraue mit Demut.”

Eine Stimme der Vernunft

Gamaliel sprach: Lasst ab von diesen Leuten und lasst sie gehen! Denn wenn das, was hier geplant und ins Werk gesetzt wird, von Menschen stammen sollte, dann wird es sich zerschlagen. Wenn es aber von Gott kommt, dann werdet ihr sie nicht aufhalten können.
Apostelgeschichte 5,38-39

Gamaliel war ein Enkel des berühmten Hillel, der zu den bedeutendsten jüdischen Gelehrten zählte. Er war Vorsitzender des Hohen Rates, der in diesem Fall über das Schicksal der Apostel zu entscheiden hatte. Diese wurden verhört, da sie trotz Verbots weiterhin öffentlich von Jesus predigten. Die Lage drohte zu eskalieren – einige wollten die Apostel sogar töten. In dieser aufgeheizten Stimmung wirkte Gamaliel auf die Mitglieder des Rates mäßigend ein. In seiner Argumentation verwies er auf historische Beispiele und trat als Stimme der Vernunft auf. Er kam zu dem entscheidenden Schluss, dass es klug sei, davon auszugehen, dass eine von Gott kommende Bewegung niemals aufgehalten werden könne, auch nicht durch Hinrichtungen. Er war für Gottes Wirken offen und ließ auch die Möglichkeit zu, dass Gott auf ungewohnten Wegen handelt. Damit handelte er weise und zeigte allen, die oft vorschnell urteilen, dass man Achtung und Demut vor Gottes Souveränität haben muss.

Es gibt jedoch Theologen, die Gamaliel als unentschlossen bezeichnen und seine abwartende Haltung bemängeln. Immerhin hatte er von der Auferstehung Jesu und den Wundertaten der Apostel gehört und hätte sich bekehren können. Wir sollten aus heutiger Sicht nicht vorschnell urteilen, sondern Gamaliel als Werkzeug Gottes begreifen. Er war es, der Paulus lehrte und ihm damit die Möglichkeit eröffnete, mit jüdischen Gelehrten und griechisch-römischen Denkern auf Augenhöhe zu diskutieren (Apostelgeschichte 22,3). Durch den weisen Rat Gamaliels kamen die Apostel mit einer Prügelstrafe davon und konnten ihren Dienst für die Ausbreitung der Frohen Botschaft fortsetzen.

Persönliche Bitte von mir: Möge doch allen, die geneigt sind, vorschnelle Entscheidungen zu treffen, der weise Lehrer Gamaliel in den Sinn kommen. So will die Evangelische Kirche in Deutschland bis 2035 viele Gebäude aufgeben, verkaufen oder umwidmen, um mit dem erzielten Geld den übriggebliebenen Bestand treibhausgasneutral zu machen. Auch unsere kleine Obinger Kirche soll diesem Treiben zum Opfer fallen. Da könnte es helfen, sich an Gamaliel ein Beispiel zu nehmen, der alle Beteiligte ermahnte, erst mal abzuwarten und zu prüfen, ob unser Tun wirklich Gottes Willen entspricht.

Demut statt Selfie

Und glückselig ist, wer nicht Anstoß nimmt an mir.
Matthäus 11,6

Zunächst ist hier zu fragen, was es heißt, dass viele Juden Anstoß nahmen an Jesus. Er wurde kritisiert, man lehnte ihn ab, man distanzierte sich von ihm, man empörte und ärgerte sich über ihn. Das dafür verwendete griechische Wort skandalizo kann auch „stolpern“ bedeuten. In diesem buchstäblichen Sinn brachte Jesus Menschen ins Stolpern, weil er nicht in ihre Vorstellungswelt passte. Viele Juden erwarteten von dem zu erwartenden Messias, dass er als mächtiger, politischer Retter käme und sie von der römischen Herrschaft befreien würde. Stattdessen kam er als demütiger Diener, als Tröster für Ausgestoßene und als Prediger einer Liebe zu den Feinden. Jesus kritisierte religiöse Heuchelei jeglicher Art und brachte das herkömmliche Bild von Religiosität ins Wanken. Indem er gesellschaftlich geächtete „Sünder“ annahm und ihnen Gnade schenkte, handelte er aus Sicht vieler Menschen skandalös.

Wer an seiner gewohnten Sichtweise festhielt, konnte mit Jesus nichts anfangen. Das ist auch heute noch so. Wir leben in einer Zeit, in der biblische Werte in den Hintergrund getreten sind. Da geht es vielen nur noch um Selbstdarstellung, Konsum, Erfolg. Dennoch steht jeder Einzelne von uns vor der Entscheidung: Gehe ich mit dem Strom – oder folge ich dem Ruf Jesu zur wahren Glückseligkeit?

Glückselig sind wir, wenn wir uns im Vergeben üben, auch wenn es oft schwerfällt. Wenn wir uns um die Gemobbten und Ausgeschlossenen in der Gesellschaft kümmern. Wenn wir den unbequemen Weg wählen und uns gegen den Nebel von Verdrehungen und Halbwahrheiten deutlich für die christlichen Werte einsetzen. Glückselig sind wir in diesen Tagen, wenn wir uns nicht ständig selbst in den Mittelpunkt stellen wollen. Statt immer nach Aufmerksamkeit zu suchen – zum Beispiel durch Selfies oder lustige Posts in sozialen Medien – ist es besser, demütig zu sein. Auf diese Weise dürfen wir lernen, uns selbst weniger wichtig zu nehmen und unser Leben dafür einzusetzen, von Gottes Botschaft zu erzählen.