Andacht Heute

Ethische Streitfragen

Denn Gott kommt es nicht darauf an, ob wir beschnitten sind oder nicht. Bei ihm zählt allein, ob wir nach seinen Geboten leben. Jeder soll Gott an dem Platz dienen, an dem ihn Gottes Ruf erreichte.
1. Korinther 7,19-20

    Ist es nicht ein Zeichen unserer Zeit, dass über die Segnung einer Vielehe in Berlin mehr gesprochen wird als über die Frohe Botschaft? Gewiss, es liegt an der Logik der Medien, dass Skandale und Polarisierungen oft im Vordergrund stehen. Daneben sind Fragen zu Sexualität, Ehe und Familie sehr emotional besetzt und stoßen eher auf allgemeines Interesse als die zentralen Themen des christlichen Glaubens.

    Ich frage mich, wie ich mich zu diesen kontroversen Themen verhalten sollte. Sich jeder Stellungnahme zu enthalten und Fragen zur Ethik, wie beispielsweise Homosexualität, Ehescheidung und Gender, aus dem Weg zu gehen, ist jedenfalls keine Lösung. Die Bibel selbst stellt solche unbequemen Fragen. Sie ist jedoch kein Ethik-Lehrbuch. Sie ist auch keine Waffenkammer, die uns mit schlagenden Argumenten in Form von Versen versorgt, die wir gegen unsere Gegner einsetzen können. Ethik im christlichen Sinn ist nie nur ein Regelwerk, sondern immer in Gottes Liebe und Vergebung eingebettet. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir uns in gesellschaftliche Diskurse einlassen. Bei allen Kontroversen über ethische Fragen dürfen wir nicht vergessen: Jede Diskussion sollte auf Christus zurückführen, der Menschen annimmt und heilt.

    Motive unseres Handelns

    Alle sind ja nur auf sich selbst bedacht und nicht auf das, was Jesus Christus wichtig ist.
    Philipper 2,21

    Ich habe eine kleine Abhandlung zu diesem Bibelvers gefunden. Darin wird streng unterschieden zwischen dem, was unserem Ego, und dem, was Jesus Christus dient. Zum Ego zählen das persönliche Wohlbefinden, die Gesundheit, materieller Reichtum, Genuss, persönliche Sicherheit und Ehre, das Ansehen. Sobald man etwas aus dieser Liste betont, befindet sich immer noch das ICH auf dem Thron des Herzens, was einer Vergötzung gleichkäme. Dann stünde Jesus Christus immer noch nicht im Mittelpunkt. So jedenfalls lautet das Fazit der erwähnten Abhandlung.

    Mir gefallen solche scharfen Abgrenzungen nicht. Diese Form der Ausschließlichkeit suggeriert, dass man die Motivation für sein Handeln stets klar einteilen könnte: Nur für Jesus oder nur für mich. Aber ist es nicht fast immer so, dass Motivationsmischungen vorliegen? Wenn ich meine Gesundheit erhalten will, dann tue ich es vielleicht auch, um für meine Familie und die Gemeinschaft der Gläubigen sorgen zu können. Wenn ich sorgfältig mit meinen Finanzen umgehe, kann das wiederum meinen christlichen Dienst unterstützen. Entscheidend ist bei unserem Tun nicht die Frage „Ist mein Motiv zu 100 % Christus?“, sondern „Wohin führt mich mein Motiv?“ Stärkt es Liebe, Gemeinschaft und Hingabe? Im Gegensatz zu heutigen Vereinfachern kann man davon ausgehen, dass Paulus ein sehr differenzierter Denker war. Er spricht nicht gegen jede Form von Selbstfürsorge, sondern gegen eine Haltung, die Christus verdrängt. Ihm geht es um unsere richtige Herzensausrichtung und nicht um die völlige Verneinung menschlicher Bedürfnisse.

    Vision oder Erscheinung

    Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Makedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Makedonien und hilf uns! Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Makedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.
    Apostelgeschichte 16,9-10

    In der Neuen Evangelistischen Übersetzung, der Neuen Genfer Übersetzung und der Hoffnung für alle wird an dieser Stelle von „Vision“ gesprochen. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied. Mit „Vision” wird der innere, geistige Vorgang betont. Es ist ein subjektiver Vorgang, vergleichbar mit einem Traum. Es betont die innere Führung durch den Geist Gottes. Paulus empfängt eine geistige Wegweisung. „Erscheinung” klingt dagegen stärker nach einem äußeren, objektiven Ereignis. Es betont die Realität und Autorität des Rufes. Es wirkt wie ein göttliches Eingreifen in die Geschichte. Zweifellos sind beide Übersetzungen sprachlich möglich und auch denkbar. Persönlich tendiere ich zu „Erscheinung”, da es im Anschluss heißt „Ein Mann aus Makedonien stand da” und nicht „Paulus erschien ein Mann aus Makedonien im Traum”.

    Auch wenn man nicht vollständig vom Denken der Postmoderne überzeugt ist, kann der von ihr vorgetragene Hinweis hilfreich sein, dass Leser einen Text immer auf unterschiedliche Weise interpretieren. Allerdings ist nicht „alles denkbar”, wie auch gesagt wurde. In gewissen Grenzen mag es jedoch einen Spielraum für die Interpretation geben. Im vorliegenden Fall ist entscheidend, dass Gott eingegriffen hat, nicht wie das geschehen ist. Ein Eingreifen Gottes in das Leben eines Menschen ist auf unterschiedliche Weise möglich, und es ist wohl nicht von großer Wichtigkeit, welcher Auslegung wir den Vorzug geben.