Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden.
Matthäus 6,10
Heute habe ich gelesen, dass man den Satz vom Willen Gottes nicht einseitig auf unsere Einstellung zu allem, was uns im Leben widerfährt, beziehen darf. Bisher habe ich ihn hauptsächlich auf das Leid bezogen, das uns auferlegt wird und das wir ertragen müssen. In diesem Zusammenhang kommen uns vielleicht auch die Worte Jesu in Gethsemane in den Sinn (Lk 22,42): „Vater, nimm diesen Kelch von mir. Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Bedeuten diese Worte aus dem Vaterunser, dass wir uns demütig in unser Schicksal fügen sollen, dass wir es mit einem Gott zu tun haben, der unseren Eigenwillen in die Knie zwingen will?
Da ist es gut, auch andere Stellen in der Bibel zu lesen, etwa Johannes 18,11, wo Jesus den Petrus, der einen Soldaten mit dem Schwert schlägt, entschieden zurückweist: „Soll ich nicht den Kelch trinken, den mir mein Vater gegeben hat?“ Daran erkennen wir, dass Jesus am Ende das bevorstehende Leiden nicht passiv hingenommen, sondern aktiv bejaht und auf sich genommen hat, um sein Erlösungswerk zu vollenden, das in der barmherzigen Liebe zu den Seinen gründet. Deshalb sollten wir auch das Vaterunser an dieser Stelle nicht als Aufforderung verstehen, unsere Schicksalsergebenheit und unseren Hang zur Gesetzlichkeit zu intensivieren, sondern als Bitte an Gott, dass sein Reich wirklich bald für alle sichtbar kommen möge. Wir wissen, dass es in Verbindung mit unserem Glauben bereits im Werden ist. Mit den Worten des Vaterunsers bringen wir zum Ausdruck, dass es gelingen möge, wenn Gottes Wille sich durchsetzt und wir in aller Demut mithelfen dürfen. Der Wille Gottes ist keine bittere Medizin, die wir schlucken müssen, weil ein strenger Arzt es von uns verlangt, sondern er ist der süße Saft des Lebens, der uns große Freude bereitet und uns einen Vorgeschmack gibt auf die ewige, himmlische Gemeinschaft.
„Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe.“
Johannes 4,34