Einengung des Denkens

Ein frohes Herz tut dem Körper wohl, ein zerschlagener Geist trocknet ihn aus.
Sprüche 17,22

„Lies doch nicht diese Romane. Das ist doch Zeitverschwendung. Nimm allein die Bibel zur Hand.“ Es gibt rigorose Christen, die es ablehnen, sich mit „weltlichen“ Dingen wie Literatur zu beschäftigen. Alles, was Menschen geschrieben haben, vor allem fiktionale Romane, sind für sie nicht wert, gelesen zu werden. Sie verweisen auf die Bibel als einziger Quelle alles Geistigen. Sie haben, meiner Meinung nach recht, was die überragende Wertigkeit des Heiligen Schrift betrifft. Zu weit gehen sie aber in der Ablehnung alles Kulturellen, wenn nicht in jedem Satz, in jedem Ton einer Musik, in jeder Szene im Theater oder im Film ein Lob Gottes erklingt. Falls sie es persönlich für sich so entschieden haben, wäre es noch vertretbar. Leider sparen sie nicht mit ihrer Kritik, wenn sie bei anderen Christen beobachten, wie sie Freude an diesen Dingen entwickelt haben.

Wir müssen aufpassen, dass wir bei aller gebotener Hochachtung und Wertschätzung der Bibel nicht den Fehler begehen, unser Denken zu verengen. Unter Reduktionismus versteht man im negativen Sinn einen Versuch, den Inhalt komplexer Sachverhalte in einem einzigen einfachen Satz auszusagen. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn man den Roman „Schuld und Sühne“ von Dostojewski auf die Frage konzentrieren wollte, was uns der Autor damit sagen wollte. Wenn das ginge, dann hätte er sich 700 Seiten sparen können. Und wir, die Leser, hätten auf feinste psychologische Beobachtungen und auf die Ästhetik des sprachlichen Ausdrucks verzichten müssen. Wenn wir Literatur zur Hand nehmen, sollten wir ein Werk nicht verschlingen, sondern es genießen. Wenn wir gleichzeitig unseren Erfahrungsschatz damit erweitern, von einer anderen Sichtweise profitieren und uns mit anderen Lesern über die behandelten Themen austauschen können, dann bereichert es unser Leben.