Andacht Heute

Dumme Fragen?

Denn alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben, und dementsprechend groß ist auch der Nutzen der Schrift: Sie unterrichtet in der Wahrheit, deckt Schuld auf, bringt auf den richtigen Weg und erzieht zu einem Leben nach Gottes Willen.
2. Timotheus 3,16

Bei einer intensiveren Auseinandersetzung mit biblischen Texten ist es sicherlich hilfreich, sich Gedanken über die beste Methodik des Bibellesens zu machen. Durch die kritische Betrachtung der eigenen Methodik erkennt man, wie man selbst dabei vorgeht, etwa mithilfe die Frage: Was tue ich, wenn sich Fragen aus den Texten ergeben?

Dazu eine Beobachtung aus meinem Leben: Im Gespräch mit anderen Menschen kommt es bei mir immer wieder vor, dass Dinge erwähnt werden, die mir ungewohnt sind und mich stutzig machen, weil sie mir nicht vertraut sind. Da ist beispielsweise von „KI-unterstützter Diskursanalyse” die Rede. Anstatt nur so zu tun, als wüsste ich, was damit gemeint ist, frage ich nach und erfahre, dass es dabei um die Frage geht, wie künstliche Intelligenz unsere Fähigkeit verändert, gesellschaftliche Debatten zu verstehen und zu gestalten. Hätte ich nicht nachgefragt, müsste ich weiterhin im Gespräch den Anschein erwecken, als wüsste ich, was damit gemeint ist, obwohl dem nicht so ist. Alle weiteren Ausführungen meines Gegenübers würde ich stillschweigend zur Kenntnis nehmen, nur um mir nicht die Blöße des Nichtwissens zu geben.

Sicherlich kennen Sie das berühmte Zitat aus dem Filmklassiker „Die Feuerzangenbowle“, in dem der Physiklehrer Professor Bömmel den Schülern das Wirkprinzip der Dampfmaschine zu erklären versucht: „Da stelle ma uns mal janz dumm.“ Kein Geringerer als der weise Sokrates sprach davon, dass es die „docta ignorantia”, die gelehrte Unwissenheit, geben müsse. Erst durch das „Dummstellen“ öffnen sich neue Perspektiven. Gerade in Glaubens- oder Textfragen ist es heilsam, nicht sofort eine Antwort parat haben zu müssen. Auch die Bibel kennt das Staunen, das Fragen, das Ringen. Wenn ich mich fragend zeige, kann ich etwas dazulernen und z.B. andere in einem Gesprächskreis über die Bibel zum Mitdenken einladen. Es ist also immer nützlich und berechtigt, mit der sokratischen Methode einfache, grundlegende Fragen zu stellen, wie zum Beispiel: Was steht da wirklich? Warum wird das so gesagt? Was ist damit gemeint? Wie ist das zu verstehen?

Gottes Wort – eine Beute?

„Ich freue mich über dein Wort wie einer, der eine große Beute macht.“
Psalm 119,162

Gottes Wort wird hier als „Beute“ bezeichnet. Im heutigen Sprachgebrauch ist dieser Begriff eher negativ konnotiert. Man denkt dabei an Gewalt, Raub oder Gier. Biblisch gesehen erhält diese „Beute” jedoch eine andere Färbung. Sie steht für einen unerwarteten, kostbaren Fund, für das Glück des Findens und das Staunen über einen Reichtum, der nicht erarbeitet, sondern empfangen wurde. Jedenfalls handelt es sich um einen Schatz, der unser Herz jubeln lässt.

Wie verändert sich unser Blick, wenn wir Gottes Wort wie in unserem Vers als kostbare Entdeckung betrachten? Dazu müssen wir unterschiedliche Arten des Umgangs mit der Bibel betrachten. Wenn wir die Bibellese eher als Pflichtlektüre sehen, erwarten wir nichts Neues. Dann bleiben echte Überraschungen eher aus. Das ist die Gefahr bei festen Bibelleseplänen wie „die ganze Bibel in einem Jahr“. So wird Kapitel für Kapitel gelesen, der Text wird „abgearbeitet“, ohne dass er wirklich ins Herz fällt. Zweifellos ist es ein strukturiertes Vorgehen, weil man einen festen Plan hat, an den man sich hält. Aber schnell kommen Gedanken auf wie „Ich muss heute noch lesen, sonst gerate ich in Rückstand“. Ich stelle mir zwei Menschen vor, die die Bibel aufschlagen. Der eine liest, weil es dran ist. Der andere liest, weil er etwas erwartet. Beide sehen denselben Text, aber nur einer findet etwas. Für den einen sind Begriffe wie Disziplin und Durchhalten wichtig, um zum Ziel zu kommen. Für den anderen, der sich impulsiv führen lässt, sind es Neugier, Fragen, Verweilen und der Bezug zum eigenen Leben, die ihm wichtig sind. Beim einen besteht die Gefahr der Routine und Müdigkeit in den Gedanken und es ergibt sich wenig Raum für Resonanz auf das Gelesene. Der andere läuft Gefahr, sich ablenken zu lassen und unregelmäßig zu lesen.

Der Leser merkt jetzt sicher, dass ich eher zur impulsiven Bibellese neige. Ich möchte Fragen zum Text stellen und mich damit auseinandersetzen, was ein bestimmter Vers mit meinem Leben zu tun hat. Das hält mich allerdings nicht davon ab, auch mal einen längeren Abschnitt zu lesen, wie das Buch Hiob, das Johannesevangelium oder den Römerbrief. Wenn ich das Lesen in der Bibel eher als eine „Schatzsuche” als eine „Gartenpflege” begreife, so möchte ich diese Form des Zugangs nicht abwerten. Hauptsache ist, dass das Wort uns in unserem täglichen Leben begleitet und wir es zu schätzen wissen.

Die sprachliche Form der Gedanken

Der HERR ist mein Hirte;
mir wird nichts mangeln.

Psalm 23,1

Der wohlbekannte Vers ist vom Inhalt her schon oft beleuchtet worden. Heute soll der sprachliche Ausdruck im Vordergrund stehen. Wir haben es hier beispielhaft mit dem Gedankenparallelismus (lateinisch: Parallelismus membrorum) zu tun. Es handelt sich um ein zentrales Stilmittel der hebräischen Poesie, das besonders in den Psalmen, Propheten und den Weisheitstexten vorkommt. Zwei Zeilen (oder mehr) stehen dabei in einem bestimmten Verhältnis zueinander und entfalten gemeinsam einen Gedanken. Dieser wird entweder ergänzt wie im obigen Vers oder kontrastiert wie in:

Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten,
aber der Weg der Gottlosen vergeht.

Psalm 1,6

Einmal wird also der Gedanke verdoppelt und verstärkt. Beim Kontrastpaar wird die Aussage verschärft, so wie bei Licht und Schatten. Es gibt auch noch die Steigerung der Gedankenfolge. Dabei wächst der Gedanke wie auf einer Treppenstufe zur nächsten:

Opfere Gott Dank
und erfülle dem Höchsten deine Gelübde.

Psalm 50,14

In allen Fällen des Gedankenparallelismus wird diese Stilfigur bewusst eingesetzt, um den Leser zum Nachdenken zu bringen. Sie dient nicht zur schnellen Information wie in einem Bericht, sondern zur geistlichen Vertiefung. Die in Beziehung stehenden Zeilen eröffnen einen Raum für Interpretation. Sie beleuchten ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. In ihr kommt eine Denkweise zum Ausdruck, die Beziehung, Spannung oder eine Stellungnahme beinhaltet. Da ich meine täglichen Andachten immer in den Morgenstunden schreibe, könnte ich zu folgenden Parallelismus kommen:

„Gott ist mein Halt in der frühen Stunde,
mein Trost, wenn der Abend sich neigt.“