Das missverstandene Gleichnis
Danach kam der Mann mit den zwei Zentnern. Er berichtete: ‚Herr, ich habe den Betrag, den du mir gegeben hast, verdoppeln können.‘ Da lobte ihn der Herr: ›Gut gemacht, du bist ein tüchtiger und zuverlässiger Verwalter. In kleinen Dingen bist du treu gewesen, darum werde ich dir Großes anvertrauen.
Matthäus 25,22-23
Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten kann missverstanden werden. Es könnte nämlich dazu verleiten, werkgerecht zu werden. Wer mit seinen Talenten viel „leistet”, würde am Ende belohnt werden, wer nichts mit ihnen tut, würde bestraft werden. Die unterschiedlichen Talente und Erträge könnten zu einer Art religiösem Wettbewerb führen. Wer spendet mehr, wer betet mehr und wer mit noch größerer Inbrunst? Wer missioniert mehr und bringt mehr Menschen zum Glauben? Wenn dies der Sinn des Gleichnisses wäre, dann würden sich die Knechte während der nächsten Abwesenheit ihres Herrn noch einmal steigern und sich gegenseitig übertreffen wollen.
Hier geht es jedoch nicht um Optimierung und Ertragsmaximierung. Es geht nicht um Angst vor Strafe bei nicht erfolgter Pflichterfüllung oder den Wunsch, Gott mit seinen Verdiensten zu gefallen. Vielmehr kommt darin zum Ausdruck, dass es dem Herrn im Gleichnis um Vertrauen, Dankbarkeit und Liebe geht. Die guten Knechte hatten diese Eigenschaften und haben sich verantwortungsvoll um die Verwaltung gekümmert. Der böse Knecht hat dagegen nur an sich gedacht und heimlich das Ziel verfolgt, für sich das Beste aus der Situation herauszuholen, um – wie man so sagt – „sich einen schönen Lenz zu machen”. Wenn in christlichen Gemeinschaften unter Zuhilfenahme dieses Gleichnisses zu sehr appelliert wird, unsere Talente zu nutzen, um noch mehr zu geben, zu beten und zu missionieren, ist Vorsicht geboten. Solche Früchte werden hervorkommen, aber nicht, weil wir sie mit aller Gewalt anstreben. Sie werden ohne Anstrengung aus unserem Glauben heraus wachsen, allein mit Gottes Gnade.