Andacht Heute

Wenn Gott schweigt

Ach, HERR, sieh doch, wie verzweifelt ich bin! In mir wühlt der Schmerz; mir bricht das Herz, wenn ich daran denke, wie ich mich gegen dich aufgelehnt habe. Draußen raubte das Schwert mir meine Kinder, und drinnen raffte die Seuche sie dahin.
Klagelieder 1,20

Die Klagelieder beziehen sich auf die Zerstörung Jerusalems und des Ersten Tempels im Jahr 586 v. Chr. durch das Heer des babylonischen Königs Nebukadnezar. Dabei wurden viele Einwohner getötet oder verschleppt. Das Buch besteht aus fünf poetischen Liedern, die Trauer, Schmerz und Reue ausdrücken.

In diesem Abschnitt beschreibt der Sprecher seinen Schmerz, der ihn in seinem Innersten aufwühlt. Er ist sich seiner Schuld bewusst und begreift sie als Ursache der furchtbaren Ereignisse. Damit zeigt er Reue und macht Gott nicht für sein Unglück verantwortlich. Er kann sich nirgends mehr sicher sein: Der Tod erwartet ihn draußen durch das Schwert und in seinem Haus durch Hunger und Krankheit. Ein Mensch, der keinen Ausweg mehr sieht, fleht zu Gott. Er und sein Volk haben sich selbst in diesen Zustand der Gottferne gebracht. Nun bleibt ihnen nur noch die verzweifelte Bitte an den HERRN, sich ihrem Leid zuzuwenden und nicht länger zu schweigen.

Die Klagelieder eignen sich sehr gut, um sich mit Situationen der Verzweiflung auseinanderzusetzen. Krieg, Flucht, Trauer um Angehörige, Missbrauch – die Liste erscheint unendlich. Wir sind alle froh, wenn wir nicht selbst betroffen sind, und wir unser Leben in Frieden und Freiheit, in Gesundheit und Wohlstand fortsetzen können. Dabei übersehen wir jedoch, dass sich um uns herum die meisten Menschen von Gott abgewandt haben. Auch die Bewohner Jerusalems wähnten sich vor dem Angriff der Babylonier in Sicherheit und gingen ihre eigenen Wege. Es gab auch zu diesem Zeitpunkt schon warnende Stimmen wie die von Jeremia, dem mutmaßlichen Verfasser der Klagelieder:

Darum verkünde nun den Bewohnern von Jerusalem und ganz Juda: ›So spricht der HERR: Ich plane Böses gegen euch und bereite das Unglück vor, das ich über euch bringen will. Kehrt um von euren falschen Wegen, jeder von euch soll sein Leben von Grund auf ändern.‹ Aber sie werden entgegnen: ›Spar dir die Worte! Wir machen, was wir wollen – und sei es noch so eigensinnig und böse!‹«
Jeremia 18,12