Andacht Heute

Gottes Wort – eine Beute?

„Ich freue mich über dein Wort wie einer, der eine große Beute macht.“
Psalm 119,162

Gottes Wort wird hier als „Beute“ bezeichnet. Im heutigen Sprachgebrauch ist dieser Begriff eher negativ konnotiert. Man denkt dabei an Gewalt, Raub oder Gier. Biblisch gesehen erhält diese „Beute” jedoch eine andere Färbung. Sie steht für einen unerwarteten, kostbaren Fund, für das Glück des Findens und das Staunen über einen Reichtum, der nicht erarbeitet, sondern empfangen wurde. Jedenfalls handelt es sich um einen Schatz, der unser Herz jubeln lässt.

Wie verändert sich unser Blick, wenn wir Gottes Wort wie in unserem Vers als kostbare Entdeckung betrachten? Dazu müssen wir unterschiedliche Arten des Umgangs mit der Bibel betrachten. Wenn wir die Bibellese eher als Pflichtlektüre sehen, erwarten wir nichts Neues. Dann bleiben echte Überraschungen eher aus. Das ist die Gefahr bei festen Bibelleseplänen wie „die ganze Bibel in einem Jahr“. So wird Kapitel für Kapitel gelesen, der Text wird „abgearbeitet“, ohne dass er wirklich ins Herz fällt. Zweifellos ist es ein strukturiertes Vorgehen, weil man einen festen Plan hat, an den man sich hält. Aber schnell kommen Gedanken auf wie „Ich muss heute noch lesen, sonst gerate ich in Rückstand“. Ich stelle mir zwei Menschen vor, die die Bibel aufschlagen. Der eine liest, weil es dran ist. Der andere liest, weil er etwas erwartet. Beide sehen denselben Text, aber nur einer findet etwas. Für den einen sind Begriffe wie Disziplin und Durchhalten wichtig, um zum Ziel zu kommen. Für den anderen, der sich impulsiv führen lässt, sind es Neugier, Fragen, Verweilen und der Bezug zum eigenen Leben, die ihm wichtig sind. Beim einen besteht die Gefahr der Routine und Müdigkeit in den Gedanken und es ergibt sich wenig Raum für Resonanz auf das Gelesene. Der andere läuft Gefahr, sich ablenken zu lassen und unregelmäßig zu lesen.

Der Leser merkt jetzt sicher, dass ich eher zur impulsiven Bibellese neige. Ich möchte Fragen zum Text stellen und mich damit auseinandersetzen, was ein bestimmter Vers mit meinem Leben zu tun hat. Das hält mich allerdings nicht davon ab, auch mal einen längeren Abschnitt zu lesen, wie das Buch Hiob, das Johannesevangelium oder den Römerbrief. Wenn ich das Lesen in der Bibel eher als eine „Schatzsuche” als eine „Gartenpflege” begreife, so möchte ich diese Form des Zugangs nicht abwerten. Hauptsache ist, dass das Wort uns in unserem täglichen Leben begleitet und wir es zu schätzen wissen.

Die sprachliche Form der Gedanken

Der HERR ist mein Hirte;
mir wird nichts mangeln.

Psalm 23,1

Der wohlbekannte Vers ist vom Inhalt her schon oft beleuchtet worden. Heute soll der sprachliche Ausdruck im Vordergrund stehen. Wir haben es hier beispielhaft mit dem Gedankenparallelismus (lateinisch: Parallelismus membrorum) zu tun. Es handelt sich um ein zentrales Stilmittel der hebräischen Poesie, das besonders in den Psalmen, Propheten und den Weisheitstexten vorkommt. Zwei Zeilen (oder mehr) stehen dabei in einem bestimmten Verhältnis zueinander und entfalten gemeinsam einen Gedanken. Dieser wird entweder ergänzt wie im obigen Vers oder kontrastiert wie in:

Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten,
aber der Weg der Gottlosen vergeht.

Psalm 1,6

Einmal wird also der Gedanke verdoppelt und verstärkt. Beim Kontrastpaar wird die Aussage verschärft, so wie bei Licht und Schatten. Es gibt auch noch die Steigerung der Gedankenfolge. Dabei wächst der Gedanke wie auf einer Treppenstufe zur nächsten:

Opfere Gott Dank
und erfülle dem Höchsten deine Gelübde.

Psalm 50,14

In allen Fällen des Gedankenparallelismus wird diese Stilfigur bewusst eingesetzt, um den Leser zum Nachdenken zu bringen. Sie dient nicht zur schnellen Information wie in einem Bericht, sondern zur geistlichen Vertiefung. Die in Beziehung stehenden Zeilen eröffnen einen Raum für Interpretation. Sie beleuchten ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. In ihr kommt eine Denkweise zum Ausdruck, die Beziehung, Spannung oder eine Stellungnahme beinhaltet. Da ich meine täglichen Andachten immer in den Morgenstunden schreibe, könnte ich zu folgenden Parallelismus kommen:

„Gott ist mein Halt in der frühen Stunde,
mein Trost, wenn der Abend sich neigt.“

Der Ausweg aus der Sinnkrise

Stolz behaupten sie: »Gott kümmert sich sowieso nicht um das, was wir tun! Es gibt ja gar keinen Gott!« Weiter reichen ihre Gedanken nicht.
Psalm 10,4

Der Psalmist beklagt sich über die Gottlosen. Sie verfolgen die Schwachen und prahlen mit ihrer Macht.
Sie handeln, als gäbe es keinen Gott, und rufen: „Es gibt keinen Gott!“ Sie sind erfolgreich, arrogant und ungestraft – ein Bild skrupelloser Selbstherrlichkeit. Das galt damals, und es gilt noch mehr in unseren Zeiten. Die Menschen wenden sich immer mehr ab von Gott. Laut Umfragen glauben nur noch 38 % der Deutschen stark oder ziemlich stark an Gott – vor zehn Jahren waren es noch 50 %. Das tägliche Gebet sank von 23 % auf 17 %. 43 % beten nie. Das bleibt nicht ohne Folgen: Viele Menschen empfinden ihr Leben als fragmentiert und orientierungslos. Besonders in jüngeren Milieus fehlt oft ein tragendes Weltbild. Die Suche nach Sinn verlagert sich auf Selbstverwirklichung, Konsum oder digitale Identitäten, bleibt aber oft unbefriedigt.

Man kann feststellen: Die Abkehr vom Glauben an Gott hat die Menschen in diesem Land nicht glücklicher und zufriedener gemacht. Nur noch 38 % der Befragten sagen, sie hätten ein klares Lebensziel. Mehr als 50 % geben an, dass sie sich „manchmal oder oft leer“ fühlen. Der Sinnverlust ist kein bloßes intellektuelles Problem, sondern eine geistliche Notlage. Menschen hungern nach Bedeutung, nach Zugehörigkeit und nach einem „Warum“, das über das eigene Ich hinausweist. Und genau hier bietet der Glaube an den einzigen wahren Gott und die Gemeinschaft mit IHM den Ausweg aus aller Not.

„Du zeigst mir den Weg zum Leben. In deiner Nähe ist Freude in Fülle.“
Psalm 16,11